Das falsche Heu kann tödlich sein

Das falsche Heu kann tödlich sein

Das falsche Heu kann tödlich sein!

 

Ein Blick in die Entwicklungsgeschichte der Pferde

Um zu verstehen, warum Heu nicht gleich Heu ist, muss man ein wenig in die Vergangenheit der Pferde schauen: Über Jahrmillionen haben sich die kleinen, fünfzehigen Urpferde nach und nach von im Wald lebenden Blätterfressern zu den modernen Pferden entwickelt, wie wir sie heute kennen. Die Veränderungen in Bauplan (Morphologie) und Funktion (Physiologie) ihrer Körper hatten bei diesem Evolutionsprozess ganz entscheidend mit dem Umstieg im Futter von Blättern auf Gräser zu tun. Das ganze Sein der modernen Equiden ist aufs Grasfressen abgestimmt. Sie sind Futterspezialisten: Zwischen den Zähnen und dem After verfügen Pferde über eine hochspezialisierte Verdauungsmaschinerie, die in all ihren winzigen Einzelheiten so ausgelegt ist, dass aus dem gefressenen Gras alle lebensnotwendigen Stoffe bezogen werden können. Das System ist genial, denn schließlich gibt es auf der Erde eine Menge Gras. Dummerweise ist es aber auch sensibel und störanfällig, wie alle Spezialapparate.

Wie füttere ich artgerecht und gesund?

Was dem Pferd in der Fütterung als artgerecht entspricht und somit am gesündesten ist, lässt sich am besten an wildlebenden Pferden ablesen: Was die fressen, futtern sie instinktiv. Die Evolution hat dafür gesorgt, dass ihnen vorwiegend das schmeckt, was in ihrer Umgebung von Natur aus wächst und was ihnen guttut: Das ist Gras mit den in einer natürlichen Pflanzengemeinschaft von Wiesen nun einmal enthaltenen Kräutern – Gras + Kraut wie es nun einmal wächst, wenn kein Bauer sät, mäht oder pflegt, überständiges Gras, so wie es den größten Teil des Jahres auf unbewirtschafteten Wiesen zur Verfügung steht.

Die Genetik einer Spezies ändert sich natürlich durch Zucht. Das ist auch beim Hauspferd geschehen. Aber Zuchtziele lagen und liegen eher darin, ein bestimmtes Aussehen zu selektieren und psychische wie physische Leistungsparameter absichtlich zu beeinflussen. Soweit bekannt, hat kein Zuchtverband bisher versucht, die Verdauungsphysiologie von Pferden gezielt zu verändern, um Pferde plötzlich mit preiswerten Kartoffelschalen füttern zu können, um einmal ein schräges Beispiel zu nennen. Deshalb ist es legitim, auf Wildpferde zu schauen, wenn man sich fragt: „Wie fütterte ich mein Pferd artgerecht und gesund?“

Wie kam das Heu zum Pferd?

Pferde sind Dauerfresser. Ihr Verdauungstrakt ist so ausgelegt, dass er am besten ständig durch Fressen beschäftigt wird. Deshalb brauchen Pferde von Natur aus schrecklich wenig Schlaf, aber viel Zeit zum Futtern. Außerdem werden sie unleidlich, wenn die Futterversorgung stockt. Das ist ihr gutes Recht, denn Futterpausen von mehr als 2 Stunden bekommen Pferden nicht und die Tiere machen mit schlechter Laune auf dieses gesundheitliche Risiko aufmerksam. Aber: Wer dauernd frisst, muss unbedingt das zu sich nehmen, was gesund ist. Wird falsch gefüttert, summieren sich Fehler unerhört schnell auf und Pferde erkranken innerhalb kurzer Zeit ernsthaft. Damit außerhalb der Weidesaison oder bei Tieren, die (leider) ganzjährig viel im Stall gehalten werden, die Fütterung nicht stockt und die Form der Ernährung artgerecht bleibt, werden seit Jahrtausenden Pferde mit getrocknetem Gras, also mit Heu ernährt. Das Heu muss in möglichst allen Details (s.o.) dem entsprechen, was Pferde mechanisch und biochemisch benötigen, sonst bekommen die Tiere sehr schnell ernsthafte gesundheitliche Probleme.

Fehler rund um Heuernte, Heulagerung und Heufütterung

  • Der Erntezeitpunkt des Grases muss stimmen!

Die Faustregel lautet: Nach der Blüte, vor der Bildung der Samen - dann sollte Heu gemacht werden. Blühendes Gras staubt mit Pollen munter vor sich hin. Das kann Atembeschwerden und Allergien auslösen, wenn man die Nase zum Fressen immer mittendrin hat. Der Grasstängel hat mit der Samenbildung seine Lebensaufgabe erfüllt– nämlich die Voraussetzungen zu schaffen, sich zu vermehren – und beginnt bereits zu verrotten, sobald sich Samenkörner an der Pflanze bilden. Alle Kraft der Graspflanze, also vor allem die wertvollen Mikronähstoffe, wandern bei der Samenbildung aus dem Pflanzen- in den Fruchtkörper – und fallen bei der Heuernte massenhaft zu Boden. Deshalb ist Heu, das schon Samen hervorgebracht hat, arm an Mikronährstoffen, also an allem, das keine Energie liefert, was der Organismus eines Pferdes aber dringend braucht.

  • Die Länge des Grases muss stimmen!

Gras ist in jedem Lebensstadium ein bisschen anders: Sprießt es jung und frisch, enthält Gras beispielsweise viel Eiweiß und viele Kohlehydrate, vor allem Fruktane. Das sind für Pferde gesundheitliche Risikofaktoren.
Weiden im Frühjahr oder extrem kurzgefressene Grasflächen mit gestressten Gräsern können durch ihr Futterangebot Koliken oder Hufrehe auslösen.

Dann, wenn Gräser länger als 30 Zentimeter sind, haben sie eine für das Verdauungssystem der Pferde idealen Zustand – chemisch und mechanisch. Der Anteil an Rohfaser ist in diesem Stadium für Equiden perfekt (Bei jungem Gras ist der Rohfaseranteil zu niedrig. Übrigens: Pferde gewinnen einen großen Teil ihrer Energie mithilfe symbiontischer Bakterien aus Rohfaser. Enthält Gras oder Heu zu wenig Rohfaser, verlieren die Tiere Gewicht.).

Überständiges Gras mit Halmen von mehr als 30 Zentimetern Länge bietet
Pferden eine für ihre Bedürfnisse gut ausgewogene Mischung an Nährstoffen. Beim Weiden nehmen die Tiere ihr Futter in genau den „Portionsgrößen und –längen“ zu sich, sodass Kauen, Einspeicheln und anschließend die Wanderungsgeschwindigkeit des Nahrungsbreis durch den Verdauungstrakt optimal verlaufen. Was hier für das Grasfressen gilt, gilt auch für Heu:
Deshalb soll erst dann Heu gemacht werden, wenn die Graspflanzen mehr als 30 Zentimeter Höhe erreicht haben.

  • Die Trocknung des Grases muss stimmen!

Die moderne Landwirtschaft macht es den Menschen leichter – und den Pferden oft schwer. Zu niedrig eingestellt Mähbalken, die aus kommerziellem Interesse auch das letzte Bisschen Gras über dem Boden erwischen wollen, wirbeln viel Staub auf. Das Heu wird damit kontaminiert – zum einen staubt es dann „selbst“, zum zweiten besteht ein Teil des Staubes aus Mikroorganismen wie Pilzen und Bakterien. Die Art und Weise, wie Gras nach der Mahd behandelt wird, kann ein minderwertiges Heu verursachen – auch ohne dass dessen schlechte Qualität sofort offensichtlich ist.

 

                                                                Heu_Heugewinnung

 

Deutliche Warnsignale in Bezug auf eine mindere Qualität von Heu sind:

  • Graue oder eine dunkle, bräunliche Farbe
  • Starke Staubentwicklung
  • Sichtbarer Schimmelbelag
  • Ein dumpfer unangenehmer Geruch

Während der Trocknung sollte das Gras am besten auf Holzgestellen oder lose in einer Tenne  lagern – das ist aufwändig und wird heute leider kaum noch gemacht. Bodentrocknung im Freien ist die Regel. Wichtig ist dabei, dass es während der Trockenphase maximal 1 Mal regnet. Leider ist es möglich, mit modernen Heuwendern mehrfach infolge von Niederschlägen durchnässtes Gras auch mehrmals zu wenden – die Restfeuchte (Wünschenswert sind hierbei unter 15%.) stimmt danach beim Endprodukt vielleicht. Der mehrfache Wendevorgang zuvor sorgt aber für zahlreiche Brüche in den Graspflanzen; die wiederum stauben furchtbar beim Verfüttern. Nicht gut. Auch gehen durch mechanisches Aufbrechen von Blättern und Stängeln beim Wenden der trocknenden Pflanzen viele Nährstoffe verloren – das Innere der Pflanzen kommt so mit Luftsauerstoff in Kontakt, wertvolle Inhaltsstoffe oxidieren und können von Pferden bei der Verdauung in diesem chemischen Zustand nicht verwertet werden.

Die Trockenzeit von Gras sollte möglichst kurz sein. Wie gesagt: Der Hauptanteil des Heus wird heute auf dem Boden liegend getrocknet. Das bedeutet, dass eine Menge Mikroorganismen dabei die Gelegenheit bekommen, sich darin festzusetzen, vor allem Bodenbakterien und Pilzsporen. Je länger die Trocknungszeit auf dem Boden, desto stärker die Kontamination des Heus mit Mikroorganismen.

Diese Belastung des Heus mit Mikroorganismen (vor allem, wenn sehr dicht über dem Boden gemäht wurde) macht es nötig, zwischen Heuernte und Fütterung eine gewisse Zeit verstreichen zu lassen: Heu nicht sofort, sondern frühestens nach 10 - 12 Wochen einwandfreier, trockener Lagerung verfüttern! Die Mikroorganismen, die natürlicherweise auf den Grasoberflächen haften, bleiben nach der Heuernte leider nicht untätig: Bakterien und Pilze vermehren sich dort. Indem Gräser und Kräuter beim Trockenprozess die in den Pflanzen gespeicherte Feuchtigkeit „ausschwitzen“, schaffen sie das perfekte Klima für eine echte Gärung: Weil das Gras nach der Ernte flach am Boden liegt, ist zwischen den Halmen freier Sauerstoff bald rar. Dieses leicht feuchte und dabei sauerstoffarme oder gar sauerstofffreie Klima lieben Bakterien und Pilze! Sie vermehren sich schnell und können durch Zersetzungsprozesse auf der Grasoberfläche (ihre Art der Verdauung eben) Energie gewinnen. Das Heu wird in diesem Stadium für Pferde in zweierlei Hinsicht gefährlich: Fressen sie zu frisches Heu, nehmen sie eine Unmenge von lebenden Pilzen und Bakterien in sich auf, die sich in ihrem Verdauungstrakt noch einmal explosionsartig vermehren – eine Gaskolik ist die Folge. Das Immunsystem der Pferde schreit angesichts der unzähligen lebenden Fremdorganismen sozusagen erschrocken auf: „Wir werden angegriffen! Feindliche Übernahme!“ Die Darmflora aus Bakterien, die üblicherweise für Pferde arbeiten und ihnen die für Säugetiere ohne bakterielle Hilfe nicht nutzbaren riesigen Kettenzuckermoleküle aus Rohfaser in leicht verdauliche Molekülgrößen zerstückeln, kann durch die fremden Mikroorganismen aus dem Heu verdrängt werden. Außerdem sind die in frischem Heu massenhaft enthaltenen Stoffwechselprodukte von Pilzen und Bakterien für Pferde ausgesprochen ungesund und können ebenfalls schwere Verdauungsstörungen auslösen.

Eine ausreichend lange Lagerung des Heus vermeidet solche Probleme: Bakterien- und Pilzkulturen vermehren sich zwar während der Trocknungsphase zunächst, aber nachdem die Koloniegröße der Mikroorganismen einen Gipfelpunkt erreicht haben, kommt ihr Vermehrungsprozess auch wieder zur Ruhe. Sie sterben nach und nach ab. Tote Mikroben stören das Immunsystem eines Pferdes deutlich weniger als Milliarden von lebenden. Nach 10 – 12 Wochen Lagerzeit ist die Gefahr einer zu starken Belastung des Heus mit Kleinstlebewesen beim Verfüttern gebannt.

Die feste Pressung des Heus zu Großballen verursacht übrigens oft ein Feuchtigkeitsgefälle: außen ist das Futter trockener als im Inneren des Ballens. Wer besonders sichergehen möchte gesundes Heu zu verfüttern, kann die Restfeuchte darin auch messen: Sie sollte nicht über 15% liegen.

  • Mangelernährt trotz guter Heuqualität

In Heu sollte sich eine gut ausgewogene Mischung aus Kräutern und verschiedenen Gräsern befinden. Das weidende Wildpferd kann wandern, bis es die Gras-Kräutermischung findet, die zum Zeitpunkt seines Erscheinens auf einer Weide seine optimale Nährstoffversorgung gewährleistet. Das Haustier „Pferd“ kann das nicht. Es muss nehmen, was ihm angeboten wird.

Auch wenn Heu von allerbester Qualität zur Verfügung steht, was Erntezeitpunkt, Behandlung des Heus und dessen Lagerung angeht, kann es bei Pferden zu Ernährungsproblemen kommen: Mangelerscheinungen treten auf. Viele Weiden und Wiesen, die gemäht werden, sind ausgelaugt – sie wurden schon oft zuvor gemäht und hatten jahrelang keine Ruhephasen mehr. Immer mehr Spurenelemente sind über etliche Generationen gemähten Grases dem Boden entzogen und nicht ersetzt worden. Viele spezielle Grasarten oder Kräuter sind nach und nach aus Pflanzengesellschaften verschwunden, z.B. weil die richtigen Bestäuber ausgerottet wurden oder weil die Bodenchemie sich geändert hat. Dann fehlen im Gesamtfutter wichtige sekundäre Pflanzenstoffe, weil die Pflanzen, die sie produzieren einfach nicht mehr im Heu enthalten sind. Oft werden Heuwiesen auch eingesät: mit Samen für Hochleistungsgräser, die viel Masse in der Ernte bringen, aber wenig wertvolle Nährstoffe enthalten. Das Ergebnis insgesamt ist ein Heu, in dem essentielle Bestandteile für Pferde fehlen. Der daraus resultierende Vitamin- und Mineralstoffmangel führt nach und nach zu verschiedenen Krankheitsbildern. Ist dies der Fall bei Ihrem Heu, ist es wichtig, die Heufütterung mit Kräutern und Nahrungsergänzungsmitteln zu begleiten und zu unterstützen.

 

© Care4vet.de - Monika Ahrens-Fischer