Die atypische Weidemyopathie beim Pferd

Die atypische Weidemyopathie beim Pferd - ist das Geheimnis endlich gelüftet?

Zur Verhinderung einer atypischen Weidemyopathie ist ein gutes und geregelten Weidemanagement notwendig.

Die atypische Weidemyopathie beim Pferd wurde erstmals im Jahre 1995 beschrieben. Seit dieser Zeit erkranken in den Übergangsjahreszeiten Herbst und Frühjahr bei Kälteeinbruch immer wieder einzelne Pferde an einer mysteriösen Muskelerkrankung, die oft schnell zum Tode führt. So kommt es vor, dass ursprünglich gesunde Pferde tot auf der Weide aufgefunden werden. Besonders der norddeutsche Raum war anfangs gehäuft betroffen. Was war geschehen? Was konnte diese Erkrankung ausgelöst haben?
 

Was ist eine atypische Weidemyopathie?

Zunächst soll erst einmal geklärt werden, was eine atypische Weidemyopathie eigentlich ist. Es handelt sich um eine schnell voranschreitende Muskelerkrankung, die unbehandelt innerhalb kurzer Zeit zum Tode des Pferdes führt. Die Erkrankung zeichnet sich durch plötzlich auftretendes Muskelzittern, Schweißausbrüche, Steifheit und schwankenden Gang aus. Der Harn färbt sich dunkel. Die betroffenen Pferde zeigen erhöhte Puls- und Atemfrequenzen, wirken aber matt und apathisch. Nach ein bis drei Tagen liegen die Pferde fest und erleiden Streckkrämpfe. In diesem Stadium endet die Erkrankung zu 100 Prozent tödlich.

Atypische-Weidemyopathie-be


Ein langjähriges Rätsel

Lange Zeit stellte diese Erkrankung die Pferdezüchter und Wissenschaftler vor ein Rätsel. Es wurde nur festgestellt, dass die atypische Weidemyopathie hauptsächlich unter folgenden Bedingungen auftritt:

- Die Erkrankung kommt nur im Herbst und Frühjahr bei einzelnen weidenden Pferden vor.
- Sie tritt oft bei einem plötzlichen Kälteeinbruch auf.
- Die betreffenden Weiden sind ungepflegt, ungedüngt und arm an Nahrungsangeboten für Pferde.
- Die Pferde befinden sich Tag und Nacht auf den Weiden und bekommen keine Zufütterung.
- Des Weiteren sind die Weiden feucht.
- Meist sind wohlgenährte junge Pferde betroffen.
- Am Rande der Weide gibt es verschiedene Laubbaumbestände wie Eschen, Obstbäume oder Ahorn.

Die eigentliche Ursache konnte aber lange nicht geklärt werden. Es stellten sich folgende Fragen:

- Warum tritt die Erkrankung immer nur im Herbst oder Frühjahr bei Kälteeinbruch auf?
- Welchen Einfluss hat die ungepflegte, ungedüngte und damit mineralstoffarme Weide auf die Entstehung der Krankheit?
- Warum treten nur sporadische Fälle auf?
- Wieso sind hauptsächlich wohlgenährte Pferde betroffen?
- Hat auch die Umgebung der Weide einen maßgeblichen Einfluss?


Aufdeckung der Ursache für die atypische Weidemyopathie beim Pferd

Im Herbst des Jahres 2015 wurde eine Studie der weltweit arbeitenden Forschungsgruppe AMAG veröffentlicht, welche die Ursache für die atypische Weidemyopathie eindeutig darlegt. Die Forschungsgruppe AMAG (Atypical Myopathy Alert Group) hat in dieser Studie ca. 1600 Fälle aus 20 Ländern Europas ausgewertet und kam zu dem Schluss, dass die Samen und Keimlinge des Bergahorns für die Erkrankung verantwortlich sind. Sie enthalten eine Aminosäure mit dem wissenschaftlichen Namen Hypoglycin A, welches in den Fettstoffwechsel eingreift und damit die atypische Weidemyopathie beim Pferd auslöst. Normalerweise meiden Pferde die Flügelfrüchte vom Bergahorn wie auch die Früchte anderer Bäume. Bei einem geringen Futterangebot werden diese allerdings auch gefressen. Einige Pferde erkranken dann durch das Toxin Hypoglycin A an atypischer Weidemyopathie. Dabei stellt sich wiederum die Frage, warum nicht alle Pferde erkranken.


Was ist Hypoglycin A und wie wirkt es?

Hypoglycin A ist eine Aminosäure, die in den Samen bestimmter Früchte wie dem Bergahorn oder Eschenahorn vorkommt. Diese Substanz blockiert das Enzym Acyl-CoA-Dehydrogenase, welches für den Abbau von Fettsäuren verantwortlich ist. Dabei stellt nicht Hypoglycin A die eigentliche toxische Substanz dar, sondern deren Abbauprodukt Methylene cyclopropyl acetic acid (MCPA). Durch die Blockade von Acyl-CoA-Dehydrogenase kann keine Energie mehr aus dem Abbau von Fetten erzeugt werden. Wenn auch noch alle Kohlenhydratspeicher im Organismus verbraucht sind, leidet das Pferd buchstäblich an Energiemangel. Außerdem entstehen im Körper durch die Entgleisung des Stoffwechsels weitere Toxine, die dann zum Tod durch Nierenversagen führen. Warum aber nicht alle Pferde beim Verzehr der Flügelfrüchte des Bergahorns an atypischer Weidemyopathie erkranken, ist noch nicht geklärt. Denn auch bei vielen nicht erkrankten Pferden wurde Hypoglycin A im Blut festgestellt. Allerdings waren bei ihnen die Konzentrationen etwas niedriger. Möglicherweise wird bei diesen Pferden das Toxin schneller abgebaut.


Wie gelangt Hypoglycin A auf die Weide und gibt es noch andere Quellen als Bergahorn?

Diese Frage muss gestellt werden, weil nach diversen Untersuchungsergebnissen auch Pferde erkranken, die auf der Weide keinen Zugang zu Berg-Ahorn-Samen haben. Auch andere Pflanzen, Pilze, Bakterien oder Samen könnten Hypoglycin A enthalten. Des Weiteren sind eventuell Vorgänge möglich, die dieses Toxin aus entfernteren Gebieten antransportieren. Dazu zählen heftige Stürme oder Wasser. Durch Stürme können Samen, die Hypoglycin A enthalten, aus entfernteren Gegenden angeweht werden. Aber auch die Kontamination der Gräser mit Hypoglycin A über die Übertragung durch Wasser stellt eine Möglichkeit dar. Belastete Stauwässer aus anderen Gegenden könnten bei fehlenden Wassertrögen von den Pferden getrunken werden.


Welche Möglichkeit zur Behandlung der atypischen Weidemyopathie gibt es?

Die Prognose ist bei ausgebrochener Erkrankung sehr schlecht. So liegt die Sterblichkeit der betroffenen Pferde bei 90 bis 95 Prozent. Chancen zum Überleben gibt es nur für Pferde, die an einer milderen Variante der Erkrankung leiden. Die Behandlung erfolgt symptomatisch mit schmerzlindernden und entzündungshemmenden Medikamenten. Außerdem ist dafür zu sorgen, dass das Pferd ausreichend zu trinken bekommt.


Wie kann die atypische Weidemyopathie beim Pferd verhindert werden?

Zur Verhinderung einer atypischen Weidemyopathie ist ein gutes Weidemanagement notwendig. Dazu gehört die gute Pflege der Weide durch Düngung, Entfernung von Laubresten sowie Reinigung von Wassertrögen und deren Befüllung mit Leitungswasser. Des Weiteren sollten die Pferde mit Heu und anderem Raufutter zugefüttert werden und und mineralstoffhaltigen Nährstoffe erhalten, da je nach Qualität des Heus nicht immer eine ausreichende Versorgung garantiert ist. Die Nacht sollten die Pferde im Offenstall verbringen, damit die Weiden nicht zu stark abgegrast werden. Außerdem sollte darauf geachtet werden, dass die Pferde nicht auf Wiesen mit Bergahorn grasen dürfen. Im Herbst und im Frühjahr bei Schneeschmelze sollten die Pferde nur Stundenweise auf Dauerweiden gelassen werden.


Fazit

Die atypische Weidemyopathie beim Pferd wird durch das Toxin Hypoglycin A verursacht. Hypoglycin A ist besonders im Samen des Bergahorns vorhanden, kann jedoch auch in anderen Pflanzen, Bakterien oder Pilzen vorkommen. Pferde meiden normalerweise die Flügelfrüchte des Bergahorns. Bei ungepflegten, ungedüngten und abgegrasten Weiden sind sie jedoch gezwungen, auch andere weniger bekömmliche Pflanzen zu fressen. Zur Verhinderung einer atypischen Weidemyopathie ist ein gutes Weidemanagement notwendig.

Verwendete Quellen:

-
https://www.vetpharm.uzh.ch/clinitox/
- http://pferdesportverband-sh.de/tierschutz/die-atypische-weidemyopathie-des-pferdes.html
- http://vetline.de/die-ursache-fuer-die-atypische-weidemyopathie-ist-gefunden-was-nun/150/3252/94421
- http://www.atm.de/blog/redaktionelles/atypische-weidemyopathie-bei-pferden-der-ploetzliche-tod
- http://www.tierarztpraxis-coswig.de/pferdefreunde-aufgepasst-die-atypische-weidemyopathie.html
- http://www.dr-med-vet-klein.de/Fachthemen_Weidemyopathie/Weidemyopathie.html